Vogel des Jahres 2002: Der Haussperling
Mit dem Haussperling (Passer domesticus) wurde erstmals ein Sperlingsvogel
zum Jahresvogel erwählt, der mit uns in unmittelbarer Nachbarschaft
sowohl in den Städten als auch in Dörfern oder nahe von
Einzelgehöften leben kann. Trotzdem wissen oft nur wenige Menschen
darüber Bescheid, dass es bei uns in Europa noch weitere Sperlingsarten
wie den Feldsperling, den Weidensperling und den Italiensperling
gibt.
Eines der ungelösten Rätsel, das sich dem Vogelschutz
in den letzten Jahren stellte, ist der Rückgang dieses Allerweltsvogels?
Bis zu 65% ist die Sperlingspopulation in ländlichen Gebieten
zurückgegangen. Als Ursache wird die Intensivierung der Landwirtschaft
vermutet. Der noch drastischere Rückgang des "Hausspatzen"
von bis zu 90% im städtischen Lebensraum lässt sich damit
jedoch nicht erklären. Der Londoner "Indepedent"
hat als große Tageszeitung einen Preis von 5000 Pfund für
die erste wissenschaftliche Arbeit ausgesetzt, die dieses Rätsel
löst.
Von dem etwas kleineren Feldsperling lässt sich unser Haussperling
gut an seiner grauen Kopffarbe unterscheiden, Auch fehlt sowohl
dem Haussperlingsweibchen als auch dem Männchen der für
den Feldsperling typische Wangenfleck. Nach Europa kam der Haussperling
im Gefolge von Getreideanbau und der Pferdehaltung vor etwa 8000
bis 10000 Jahren aus den Steppen Asiens, als die Urwälder gerodet
wurden. Bis heute meidet der Haussperling geschlossene Wälder.
Wie kein anderer Vogel schloss er sich dem Menschen an und wo immer
in der Welt Weizen, Roggen, Gerste oder Hafer angebaut wurde und
Siedlungen entstanden, stellte sich bald auch dieser äußerlich
so unscheinbare Vogel ein. Wir finden ihn daher in Nord- und Südamerika,
von Westeuropa bis ins entlegenste Sibirien, von Afrika über
Südostasien bis Australien und Neuseeland.
|
Wie sehr der Haussperling von den Menschen abhängig ist, zeigt
seine Verbreitung auf der Insel Helgoland nach dem Zweiten Weltkrieg.
Vor 1945 lebten dort etwa 50 Haussperlingspaare. Als die Menschen
1945 von der Insel evakuiert wurden, verschwanden die Haussperlinge
ebenfalls. Die Menschen konnten dann 1952 wieder auf ihre Insel
zurückkehren. Es dauerte jedoch noch weitere sechs Jahre, bis
der Haussperling wieder auf der Insel brütete.
Trotz seines unscheinbaren Äußeren hat der Haussperling
auch seine Liebhaber unter den Vogelhaltern. Ihre Zahl ist im Vergleich
zu den Kanarienpflegern vergleichsweise gering. Nichtsdesto-weniger
ist es ihnen gelungen, verschiedene Mutationen wie Zimt, Braun,
Achat, Pastell, Bunt, Albino u. a. rein weiter zu züchten.
Dass Haussperlinge Getreide fressen, ist allen bekannt, gab die
Vorliebe für diese Kost doch in der Vergangenheit den Grund,
groß angelegte Vemichtungs-feldzüge gegen diesen Vogel
durchzu-führen. Noch 1955 untersuchte die "Deutsche Akademie
der Landwirtschaften zu Berlin" die wirkungsvollste Applikation
von Strychninweizen. Dass dabei gleich eine ganze Palette weiterer
Tierarten wie Hunde, Katzen, Ratten und Mäuse, insbesondere
jedoch Vögel wie Tauben, Gänse, Enten, Hühner, Mäusebussard,
Turmfalke, Feldsperling, Buchfink, Bergfink, Grünfink, Grauammer,
Haubenlerche, Meisen, Amsel, Star, Zaunkönig und Seidenschwanz
sowie Saatkrähe, Aaskrähe, Elster, Eichelhäher und
Dohle mitvergiftet wurden, war damals als Argument gegen das Ausbringen
nicht anerkannt. Im Gegenteil, man schwelgte in Vernichtungsziffern,
die bei Blaukorn (blau eingefärbtes Giftgetreide) höher
lagen als bei Grünkorn (grün eingefärbtes Getreidegift).
Insgesamt wurden damals in 1130 Gemeinden an 93771 Futterstellen
454681 Sperlinge gefunden, was einer tatsächlichen Vergiftung
von 550000 Sperlingen entspricht (aus Mansfeld, K., & Bösenberg,
K., 1955).
|
Dass solche Vemichtungsfeldzüge nicht nur spezifisch für
die ehemalige DDR waren, belegt eine Anleitung zur "Sperlingsverminderung
mit der Massenfalle" des Pflanzenschutzdienstes in Frankturt/Main
aus dem Jahr 1979, also fast einem viertel Jahrhundert später.
Auch bei dieser Form der Sperlings-verminderung zeigte sich deutlich
die fehlende Selektivität der Fallen. Besonders interesssant
ist es, sich bei diesen Aus-führungen zu vergegenwärtigen,
dass etwa zur gleichen Zeit Frankfurter Ornithologen schon fest
stellten, dass die Haussperlinge stetige und merkliche Bestandseinbußen
zu verzeichnen hatten (Bechthold 1987). Heute ist dieser Trend allen
Ornithologen bekannt, und wir wissen: Es muss sich wirklich sehr
viel mit unserer unmittelbaren Umgebung, unserem Lebensraum, verändert
haben, damit es selbst einem besonders anspruchslosen Vogel und
stetem Begleiter in menschlichen Siedlungen kaum mehr gelingt, in
sich selbst erhaltenden Populationen zu überleben. je mehr
wir die "Träger menschlichen Fortschrittes" und "menschlicherKultur",
die Haustiere - als nicht mehr zeitgemäß und hygienisch
bedenklich - aus unserem unmittelbaren Umkreis verbannen, um so
deutlicher wird uns das Defizit an Lebensqualität, das wir
in unserer Unduldsamkeit selbst herbeiführen.
Dr. Peter Havelka
Auf den Gartenterrassen der Cafés und Restaurants
warten Haussperlinge geduldig auf Krümel oder Nahrungsreste
Foto: Dr. Havelka
|